Fachtagung am 20.03.2017

„Gewalt im Namen der Ehre“ ist auch in Hessen ein Thema, ein Problem? Dieser Frage stellten sich die 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der landesweiten berufsübergreifenden Fachtagung in Wiesbaden-Naurod. Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter, Vertreter von Beratungsstellen und Jugendeinrichtungen, von Polizei und Justiz sowie aus Kommunen suchten nach Möglichkeiten gegen Ehrgewalt anzugehen.

„Gewalt im Namen der Ehre“ Ist das auch hierzulande, hier in Hessen ein Thema, ein Problem? Dieser Frage stellten sich die 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der landesweiten berufsübergreifenden  Fachtagung, die am 20.03.2017 in Wiesbaden-Naurod stattfand. Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter, Vertreter*innen von Beratungsstellen und Jugendeinrichtungen, von Polizei und Justiz sowie aus Kommunen tauschten sich aus, suchten nach Möglichkeiten mit dem Ziel, durch vernetztes und gemeinsames Handeln gegen die  sogenannte Ehrgewalt vorzugehen.

Der  Song „Sonnenschein“, dargeboten von den Musikern Jaoud Hanin und Marko Dujic, eröffnete die Veranstaltung und stimmte auf das Thema ein. Das Anspiel der Offenbacher HeRoes führte in die Problematik der sog. Ehrgewalt ein: Die Bewahrung der Familienehre steht über dem Menschenrecht der freien Partnerwahl. Jungen Menschen wird die Freiheit genommen, ihr Leben selbst zu bestimmen, was sie oft in schwere Lebenskrisen stürzt.  Ziel und Aufgabe der HeRoes ist es, junge Menschen für die Problematik zu sensibilisieren, mit ihnen z.B. in Schulklassen zu sprechen und als Multiplikator in der eigenen Community Anstöße geben, etwas bewegen, für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu kämpfen. Gewalt durch Liebe und Freiheit ersetzen, wie es in dem Lied „Held“ zusammengefasst wurde.

Das Einschreiten gegen Ehrgewalt ist die Aufgabe aller. „Gewaltprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu gehören auch die Maßnahmen zur Vermeidung von Ehrgewalt“, betonte Kultusminister Prof. Dr. Alexander Lorz in seinem Grußwort. Er nannte die hohe Teilnehmerzahl von über 170 „ermutigend“, ein Zeichen für das Interesse und die Bereitschaft sich mit der Problematik auseinanderzusetzen, gegen Ehrgewalt vorzugehen, über Optionen der Prävention und Intervention zu diskutieren. Wie können wir alle dabei mitwirken und somit viel Leid und Opfer verhindern, fragte der Kultusminister.

Die Schule nimmt vor allem bei der Prävention eine wichtige Rolle ein. Sie kann für die Betroffenen eine Art Schutzraum bedeuten, da diese nicht dem direktem Druck und der Kontrolle der Familie ausgesetzt sind. Die Schule kann auch ein Türöffner sein für weitere Lösungsmöglichkeiten in der Krise. Damit eine effektive Hilfe und Unterstützung zuteilwerden könne, bedürfe es eines wirksamen Netzwerks, in dem alle eine Aufgabe haben, hob der Kultusminister hervor. Mit dem Slogan des Netzwerks: Gemeinsam handeln. Mehr erreichen! Diesen Prozess sowie die Arbeit in der Prävention und Intervention unterstützen, will auch die Broschüre „Gewalt im Namen der Ehre. Hinsehen. Handeln. Helfen.“, die anschließend durch Konstanze Schmidt, Geschäftsführerin der Zentralen Geschäftsstelle, vorgestellt wurde. Die Broschüre ist eine Neubearbeitung der bereits 2009 erschienen Ausgabe und zugleich eine Zusammenführung mit dem vom Kultusministerium herausgegebenen Leitfaden „Gewalt im Namen der Ehre. Zwangsheirat und Ehrenmord.“ Sie wurde in einer interministeriellen Arbeitsgruppe erstellt und richtet sich an Zielgruppen, die helfen und unterstützen möchten. Sie informiert über die Thematik, über Möglichkeiten der Prävention und Intervention sowie über ein vernetztes Vorgehen. Die Broschüre wird ergänzt durch einen Flyer zum Thema Zwangsheirat „Du entscheidest, wen und ob du heiratest“. Er wurde für (potenziell) betroffene Kinder, Jugendliche und Heranwachsende ab 12 Jahren erarbeitet, denen Möglichkeiten der Hilfe genannt werden. Dazu gehören auch die Beratungsstellen. Einige der in der Broschüre und im Flyer genannten Einrichtungen informierten über ihre Arbeit mit Infomaterial im Foyer.

Kultusminster Prof. Dr.Lorz

Über den Ehrbegriff, das Ehrverständnis und die Folgen für das Leben junger Menschen und das Zusammenleben referierte Frau Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl in ihrem Vortrag „Ehrgewalt- Populistisch ausgeschlachtete –Einzelfälle oder gesellschaftliches Problem?“ Die angeborene Ehre „namus“ muss verteidigt werden, auch mit Gewalt und mitunter durch Tötung. Das Ehrverständnis bestimmt aber auch die Erziehung, regelt sämtliche Beziehungen innerhalb der Familie und in der  Gesellschaft, ist für Mann und Frau aber unterschiedlich auszulegen. Es herrscht eine strikte Rollenzuweisung, der Mann als Patriarch, die Frau als Hüterin der Familie, von der auch erwartet wird, sämtliche Gefahren von Ehrverletzungen zu vermeiden. Über die Gewalt in den Familien herrscht oft eine Mauer des Schweigens. Eine Intervention von außen ist daher oft schwierig, da die Familie durch das Grundgesetz geschützt ist. Schweigen aber schützt die Täter, schützt ein System, in dem Menschenrechte keinen Platz haben. Daher ist wichtig, das Problem nicht zu negieren, sondern: Hinsehen. Handeln. Helfen.

Auf die unterschiedlichen Familienstrukturen ging  Prof. Dr. Ahmet Toprak ein in seinem Vortrag „Muslime in Deutschland-Auswirkungen der rigiden Geschlechterrollen auf die Sexualität“. Er stellte 4 Familientypen vor. Die  Einstellung zum Thema Sexualität und die Geschlechtererziehung ist sehr unterschiedlich, was Auswirkungen auf die Bildungseinrichtungen und die Gesellschaft zur Folge hat: Rigidität vs. Liberalität; Kollektivismus  vs. Individualismus; Solidarität/Loyalität vs. Eigenverantwortung; Gehorsam/Unterordnung vs. Selbstreflexion/Selbständigkeit.

Den Vorträgen schlossen sich zielgruppenbezogene Workshops an, in denen Optionen der Prävention, Intervention und der Vernetzung diskutiert wurden.

Die Ergebnisse wurden in der gemeinsamen Abschlussrunde vorgestellt. Sie machten deutlich, dass eine solche Fachtagung wichtige Impulse, Ideen, und Kontakte  für weiteres Arbeiten und die Vernetzung geben kann, aber letztendlich noch viel in einem gemeinsamen Kampf gegen Ehrgewalt getan werden muss.